Die richtige Fragetechnik, oder: Wie man in den Wald hineinruft …

Geschrieben am 29.04.2023

Mehr als 90 Prozent aller Fragen, die wir stellen – unseren Kindern, Partnern, Kollegen, Vorgesetzten, Mitarbeitern – sind Suggestiv-Fragen. Also Fragen, bei denen man bereits mit der Frage bekannt gibt, wie der Befragte antworten soll, damit er uns nicht irritiert, enttäuscht oder gar verärgert. Wenn der Nikolaus suggestiv die Kinder befragt, ob sie denn auch immer brav waren, ist sicher nicht mit einem „Nein“ zu rechnen. Wenn ein Bewerber im Vorstellungsgespräch fragt: „Haben Sie denn in Ihrem Unternehmen ein gutes Betriebsklima?“, dann steht die Antwort ebenfalls fest, bevor die Frage auch nur ausgesprochen ist. Wie also muss man seine Fragen formulieren, damit man möglichst zutreffende, objektiven Informationen erhält?

Bei dem Betriebsklima ist der Fall klar

Die Frage müsste lauten: „Wie ist das Betriebsklima in Ihrem Unternehmen?“ Auch dann ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass der Gesprächspartner ein wenig flunkert oder sogar lügt. Aber es ist ein Unterschied, ob er das von sich aus tut, oder ob man ihn mit einer ungeschickten Fragestellung zum Flunkern anstiftet.

Oft sind es nur ein paar kleine, unscheinbare Wörter, mit denen wir das tun. Sie heißen

  • denn
  • schon
  • eigentlich
  • überhaupt
  • nur
  • wirklichum nur einige von ihnen zu nennen. Ob einzeln oder in Kombination verwendet – nur selten verfehlen sie ihr Wirkung.Fragt der Bewerber: „Hat Ihr Unternehmen eigentlich schon eine eigene Internet-Seite?“, gibt er klar zu erkennen, dass er einen Internet-Auftritt für sehr wichtig hält. Ist der Gesprächspartner sehr an ihm interessiert, wird er sinngemäß antworten: „Aber ja doch, selbstverständlich – und wir werden unsere Seite noch ganz erheblich erweitern“, und das, obwohl die Internetseite nur aus einer Visitenkarte besteht und von Erweiterung überhaupt keine Rede sein kann. Lehnt der Interviewer den Kandidaten ab, fällt seine Antwort vermutlich sehr viel ehrlicher aus: „Ja, haben wir – Sie haben aber offenbar noch keinen Blick darauf geworfen!?“.

    Formuliert man seine Fragen ganz spontan im Vorstellungsgespräch, dann flutschen einem diese Wörtchen immer wieder dazwischen. Das kann man in der Aufregung gar nicht vermeiden. Besser ist es, man arbeitet seine Fragen vor dem Gespräch schriftlich aus. Dann muss man diese Fragen aber auch genau so stellen, wie man sie formuliert hat. Fragen vom Papier abzulesen, ist weniger problematisch als viele Bewerber glauben. Man kann ja sagen: „Ich habe mir hier ein paar Fragen aufgeschrieben, um nichts Wesentliches zu vergessen; ich lese einfach mal ab …“ oder so ähnlich. Niemand wird das merkwürdig finden.

    Manche Bewerber haben sich gute Fragen ausgedacht und haben sie auch im Gespräch vor sich liegen, wollen dann aber den Eindruck vermeiden, sie würden vorformulierte Fragen herunterbeten und verpacken deshalb ihre knackigen Fragen in Watte. Auf dem Papier lautet die Frage noch: „Welche Entwicklungsmöglichkeiten bietet die Position?“ Mit Watte drum herum heißt es dann: „Ich reise sehr gerne und möchte irgendwann auch mal in den Außendienst. Welche Entwicklungsmöglichkeiten bietet die Position, von der wir hier reden?“ Wie die Antwort ausfallen wird, ist sonnenklar. Ist man an dem Bewerber sehr interessiert, wird man ihm die Illusion belassen, auch wenn es tatsächlich nur eine Illusion ist. Eine wirklich objektive Antwort bekommt allenfalls ein Bewerber, der bereits durchgefallen ist. Also: Wer die gewünschte Antwort schon preisgibt, bevor er die Frage stellt hat, darf sich nicht wundern, wenn man ihm nach dem Munde redet.

    Noch einmal zurück zur Frage nach dem Betriebsklima. Will man seine Gesprächspartner zum Plaudern bringen, dann stellt man offene Fragen. Wer auf knappe, präzise Antworten Wert legt, stellt geschlossene Fragen – wie der Kriminalpolizist beim Verhör. Die Antwort auf die geschlossene Frage „Ist das Betriebsklima gut?“ lautet entweder Ja, Nein oder irgendwas dazwischen. Die offene Frage „Wie ist das Betriebklima?“ lässt sich hingegen nicht mit einem einzigen Wort beantworten; sie fordert den Befragten auf, das Klima näher zu charakterisieren. Antwortet der Befragte mit einem lapidaren „gut!“, dann wird er seine Antwort noch mit mindestens ein oder zwei weiteren Sätzen garnieren, wenn er nicht unhöflich erscheinen will. Die offene Frage liefert in der Regel also weitaus mehr Informationen als die geschlossene Frage.

    Wäre der Nikolaus wirklich an objektiven Informationen interessiert, dann müsste seine Frage lauten: „Kinder, wie habt Ihr Euch im letzten Jahr verhalten?“ Für die Kinder dieser Welt mag es erfreulich sein, dass der Nikolaus ihnen stattdessen die Frage stellt: „Ward Ihr auch brav?“ Denn er baut ihnen damit „goldene Brücken“. Goldenen Brücken, die der Bewerber seinen Gesprächspartnern baut, sind tückisch – sie enden auf dem Glatteis.

    • Man fragt also nicht: „Ist der Führungsstil in Ihrem Hause mehr kooperativ oder eher patriarchalisch?“, sondern: „Wie ist der Führungsstil in Ihrem Hause?“
    • Man fragt nicht: „Sehen Sie gute Chancen für die Zukunft Ihres Unternehmens?“, sondern: „Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Unternehmens?“
    • Man fragt nicht: „Kann mein zukünftiger Vorgesetzter gut mit Mitarbeitern umgehen?“, sondern man fragt: „Wie ist der Führungsstil meines zukünftigen Vorgesetzten?“ Und wenn die Antwort nicht befriedigt, hakt man einfach noch mal nach: „Was können Sie sonst noch zu seiner Person sagen? Wie würden Sie ihn charakterisieren?“Es wäre doch gelacht, wenn nur der Interviewer clevere Fragen stellen könnte!

     

 

cv design