Das Vorstellungsgespräch

Geschrieben am 02.04.2023

Viele Bewerber glauben, das Vorstellungsgespräch sei eine Sonderform des Verhörs oder es sei die Fortsetzung einer Prüfung mit anderen Mitteln. Und weil sie das glauben, verlaufen ihre Vorstellungsgespräche tatsächlich so als seien sie das. Zu jedem Vorstellungsgespräch gehören zwei – mindestens. Also hat auch der Bewerber ganz entscheidenden Anteil daran, ob ein Gespräch in seinem Sinne verläuft oder nicht.

Natürlich hat der „Gastgeber“, also der Personalchef in der Regel den größeren Einfluss auf den Ablauf und den Gesprächsinhalt. Das heißt aber nicht, dass nur er über die Regeln entscheidet. Ohnehin gibt es für Vorstellungsgespräche kaum feste Regeln. Die Gespräche können so unterschiedlich sein, wie die Menschen, die an ihnen teilnehmen. Deshalb sind Vorstellungsgespräche auch unterschiedlich lang. Zwischen 20 Minuten und zwei Stunden ist alles normal. Weniger als 20 Minuten sind unhöflich, mehr als zwei Stunden sind unergiebig.

Ganz entscheidend für den Ablauf eines Vorstellungsgespräches ist die Zielsetzung, mit der die „Kontrahenten“ ins Gespräch gehen. Wenn ein arbeitsloser Bewerber die Zielsetzung hat, den angebotenen Job in jedem Falle zu  „ergattern“, koste es was es wolle, dann wird das Gespräch sicherlich anders verlaufen, als wenn der Bewerber ein vielgefragter Kandidat ist, der sich vor Angeboten kaum retten kann.

Wer in einer schwierigen beruflichen Situation steckt, also zum Beispiel älter als 50 und arbeitslos ist, sollte tatsächlich etwas anders vorgehen, als jemand, dem alle Türen offen stehen. Die Bereitschaft zu Kompromissen, Verzicht auf teure Statussymbole und Flexibilität in Gehalts-Fragen sind in einer solchen Situation sicherlich angebracht. Selbstverleugnung ist hingegen völlig fehl am Platze. Selbstverleugnung ist nämlich außerordentlich kräftezehrend. Das hält man vielleicht für die Dauer des Vorstelungsgespräches durch, im Job selbst stößt man damit schnell an seine Grenzen. Wer tagtäglich viel Energie darauf verwendet, Dinge zu tun, die ihm nicht gut von der Hand gehen oder ihm sogar zuwider sind, wird auch bei größtem Einsatz niemals eine gute Figur machen können.

Umso erstaunlicher ist, dass auch Bewerber, denen alle Türen offen stehen, mit der Bereitschaft zur Selbstverleugnung ins Vorstellungsgespräch gehen. Vielleicht haben sie zu viele Bewerbungsbücher gelesen. In denen wird nämlich oft unterschwellig eine Vorgehensweise empfohlen, die man wie folgt formulieren könnte: „Finde heraus, was man vom idealen Kandidaten erwartet, und setze dann alles daran, so zu tun, als wärest Du der ideale Kandidat“.

Wenn diese Strategie wirklich Erfolg versprechend wäre, dann müssten in den Führungsetagen der Wirtschaft überwiegend Schaumschläger und Windbeutel sitzen. Tun sie aber nicht, auch wenn manche Beststeller-Autoren das Gegenteil behaupten.

Die Erfolgreichen sind nicht erfolgreich, weil sie „so tun als ob“, sondern weil sie unbeirrt ihren eigenen Weg gehen.

Manche Bewerber sehen sich durch die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in ihrem sportlichen Ehrgeiz herausgefordert. Sie wollen den Wettkampf gewinnen – des Gewinnens wegen. Sie übersehen dabei allerdings, dass das Vorstellungsgespräch nicht der eigentliche Wettkampf ist. Der beginnt nämlich erst nach dem Vorstellungsgespräch – im Job. Der Job ist der Wettkampf, das Vorstellungsgespräch ist nur die Qualifikation zur Teilnahme daran. Wer sich voll und ganz darauf konzentriert, die Qualifikation mit allen Mitteln für sich zu ent- scheiden, übersieht möglicherweise, welche Art von Kampf er nachher ausfechten muss.

Das Vorstellungsgespräch ist kein Wettkampf, es ist ein Verkaufsgespräch, bei dem man über Beträge von mindestens 50.000 EUR pro Jahr verhandelt. Soviel kostet nämlich beinahe jeder qualifizierte Job, wenn man zum Gehalt die Sozialleistungen und die Kosten des Arbeitsplatzes addiert. Dabei geht es, um im Bild zu bleiben, um eine Dienstleistung, nicht um ein Produkt. Es ist wichtig den Unterschied zu sehen. Ein Produkt wird in der Regel beim Kauf bezahlt. Erweist sich das Produkt im nachhinein als ungeeignet für den vorgesehenen Einsatzweck, dann ist der Käufer der Dumme, er trägt die Kosten des Fehlkaufes; dem Verkäufer kann das ziemlich egal sein.

Eine Dienstleistung wie die, von der hier die Rede ist, wird hingegen über einen längeren Zeitraum erbracht, und sie wird in Raten bezahlt. Stellt sich heraus, dass die erbrachte Leistung nicht den Erwartungen entspricht, dann ist nicht ausschließlich der Käufer der Dumme, sondern auch der Verkäufer. Der Verkäufer ist meist sogar der Dümmere. Ihm wird nicht nur der Geldhahn zugedreht, er bekommt auch noch eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass er zwar „stets bemüht“ war, eine Leistung zu erbringen, sie aber leider nicht im gewünschten Maß erbracht hat. Letzteres ist dann zwar nicht so deutlich ausgesprochen, ist aber so und nicht anders gemeint. Diese Bescheinigung nennt man „Arbeitszeugnis“. Mit einem solchen Arbeitszeugnis wird es dann ziemlich schwierig, jemals wieder einen anspruchsvollen „Abnehmer“ für die eigene Dienstleistung zu finden.

Grund genug also, sich als Bewerber nicht passiv auf ein Verhör von Seiten des Personalchefs einzulassen. Wer den Spieß nicht irgendwann im Verlauf des Gespräches umdreht, und selbst gezielte Fragen zur Position, zur anstehenden Aufgabe oder auch zum wirtschaftlichen und personellen Umfeld stellt, darf sich nicht wundern, wenn er hinterher der Dumme ist. Ganz abgesehen davon, dass man als Bewerber sehr viel mehr Kontur und Statur gewinnen kann durch Fragen, die man stellt, als durch Antworten, die man gibt.

 

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